Foto von Prof. Dr. Alexandra Reichenbach

"Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich von meiner (einen) Leidenschaft leben kann."

Melanie Müller / Miriam Borgert|14.04.2024

Interview mit Prof. Dr. Alexandra Reichenbach

Name Alex Reichenbach

Alter Da es inzwischen zum running gag bei Studis geworden ist, mein Alter zu schätzen, werde ich es hier nicht preisgeben ;)

Akademischer Grad Dr. rer. nat. in Neurowissenschaften, Dipl.-Ing. Informationstechnik (DHBW)

Aktuelle berufliche Position Forschungsprofessorin an der Informatik Fakultät der HHN und assoziierte Professorin an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg

Fachbereich bzw. Forschungsgebiet Neuroinformatics

Veröffentlichungen und Forschungsschwerpunkte Mein originäres Forschungsfeld aus den kognitiven Neurowissenschaften ist die Sensomotorik des Menschen. Seit ich an der HHN bin, habe ich mir zudem den Bereich „AI in Mental Health“ erschlossen; genauer gesagt: Nutzung von Verfahren aus der Künstlichen Intelligenz zur Erforschung von, Diagnostik und Therapieunterstützung bei psychischen Erkrankungen.
Meine Veröffentlichungen halte ich auf meiner HHN Seite aktuell und zudem gibt es noch eine Liste von Presseartikeln und ähnlichem über meine Arbeit auf meiner privaten Forschungswebseite.

Auszeichnungen und Preise
Für mich ist das geistige oder persönliche Wachstum jeder Person, die diesen durch mich erfährt, ein größerer Gewinn und Anlass zur Freude als Preise oder Awards, die ich für einzelne Forschungsarbeiten oder ähnliches bekommen habe.

Mitgliedschaft in wissenschaftlichen Vereinigungen oder Organisationen

  • Mitglied im Promotionsverband der Hochschulen für angewandte Wissenschaften Baden-Württemberg (Forschungseinheit II: Stellvertretende Ombudsperson sowie Mitglied im Promotionsausschuss)
  • Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS e.V.)
  • Direktorin des Zentrum für Maschinelles Lernen (ZML) an der Hochschule Heilbronn


Inspirierende Personen oder Vorbilder
Inspirierende Personen gibt es meiner Meinung nach eine ganze Menge. Meistens sind es für mich eher einzelne Taten als Personen an sich, welche mich inspirieren. Und das können durchaus auch mal kleine Sachen und muss nicht unbedingt etwas Weltbewegendes sein. In meiner Jugend war ich total von Marie Skłodowska Curie fasziniert und habe sämtliche Informationen über ihr Leben und Wirken verschlungen. Ich denke, wenn ich ein Vorbild wählen sollte, dann wäre sie das.

Ein Zitat fürs Leben „Erwachsen kann ich später noch lang genug sein“ – dieses Zitat soll dazu inspirieren, die kindliche Neugier und Freude an einfachen Dingen nicht zu verlieren. Und sich selbst nicht ganz so ernst zu nehmen :)


 Ein weiteres Zitat, dass ich sehr gerne mag ist:
„Learn as if you were to live forever.
Live as if you were to die tomorrow.“

Die Balance aus dem Leben im Hier und Jetzt und der Weitsicht gepaart mit dem Wissen bzw. Wissenszuwachs als eine der Maxime des Lebens finde ich etwas sehr Schönes.

Interview

Würden Sie sich bitte kurz in eigenen Worten beschreiben? 

Ich bin sehr offen, neugierig und leidenschaftlich. Meine Leidenschaft gilt neben der Wissenschaft noch dem Tanz und ich denke, dass beides mehr gemeinsam hat, als viele Leute denken. Beides lebt von Leichtigkeit und Kreativität, dem trotzdem ausgefeilte Techniken zugrunde liegen. Und wenn man es ernsthaft betreiben möchte, benötigt beides eine lange und intensive Ausbildung (beim Tanz habe ich diese jedoch leider nicht). Die Schönheit in der Wissenschaft erschließt sich nicht ganz so einfach wie im Tanz, doch lohnt es sich auch hier, sich damit zu beschäftigen und diese zu erkennen.

Was ist Ihr akademischer/beruflicher Hintergrund? 

Nach einem Informatik Studium habe ich erst einmal „ganz normal“ im IT Consulting gearbeitet. Ich habe jedoch nach ein paar Jahren gemerkt, dass das nicht ganz so erfüllend für mich ist und habe noch einmal von vorne mit einem grundständigen Psychologie Studium begonnen. Dieses habe ich durch meine HiWi Tätigkeit am MPI in Tübingen nach dem Vordiplom für einen Master in Neurowissenschaften verlassen und dort meine Leidenschaft für die menschliche Sensomotorik entdeckt. Nach der Promotion in Neurowissenschaften an eben jenem MPI bin ich dann als Postdoc ans UCL nach London gegangen, um mich mehr in die mathematische Modellierung kognitiver Prozesse zu vertiefen. Nach einem kurzen Abstecher in die industrielle Forschung bei Roche in Basel, bei dem ich mit meinem inzwischen zweiten Forschungsthema, Biomarker für psychische Erkrankungen, in Kontakt kam, kam der Ruf an die Hochschule Heilbronn für die Professur „Psychologie in der Informatik“. Mit diesem Karriereweg habe ich zwar Erfahrung in verschiedenen Sparten in der freien Wirtschaft, primär bin ich jedoch immer noch Grundlagenforscher.

Was hat Sie motiviert, sich für eine Karriere in der Wissenschaft/Forschung zu entscheiden?

Ich habe das Psychologie-Studium mit dem Ziel aufgenommen, das menschliche Verhalten besser zu verstehen. Ich wußte, dass ich eine Professur benötige, um frei meiner Neugier nachgehen zu können. Und hier bin ich :)

Was inspiriert Sie, in Ihrem Fachbereich zu bleiben und weiterzumachen?

Mich fasziniert das Gehirn. Und ich schätze mich sehr glücklich, dass ich von meiner (einen) Leidenschaft leben kann. Außerdem ist meiner Meinung nach Wissenszuwachs – sowohl wissenschaftlich gesehen als die Aufdeckung neuer Erkenntnisse als auch pädagogisch mit der (Aus)bildung von Menschen – einer der größten Dienste, die wir der Gesellschaft leisten können.

Worauf sind Sie stolz?

Es gibt so viele kleinere und größere Dinge, auf die ich stolz bin. Da fällt es mir wirklich schwer, einzelne Sachen herauszugreifen.

Was sind Ihre Zukunftspläne für Ihre Karriere? Haben Sie bereits Projekte in der Pipeline und welchen Impact sollen sie haben? 

Primär möchte ich meine Forschungsgruppe „AI in Mental Health“ am ZML weiter aufbauen und noch besser vernetzen. Hierfür arbeite ich laufend an Drittmittelanträgen und Vernetzung mit potentiellen Kooperationspartnern. Psychische Erkrankungen müssen besser verstanden und entstigmatisiert werden. Ich glaube, dass wir hier an der Schnittstelle von Neurowissenschaften, Medizin und Informatik eine ganze Menge bewegen können – sowohl in der Grundlagenwissenschaft als auch in der klinischen Anwendung. Perspektivisch möchte ich von der isolierten Betrachtung von Erkrankungen wie Depression und Schizophrenie weg, zu einer übergreifenderen und differenzierteren Einordnung der zugrundeliegenden Veränderungen neuronaler Funktionen. 

Ein Ziel ist hier auch, meine beide Forschungsgebiete wieder zu vereinen: Zur Sensomotorik gehören grundlegende Prozesse, die teilweise auch bei psychischen Erkrankungen betroffen sind – dort jedoch häufig noch sehr stiefmütterlich behandelt werden.
Mein zweites „Großprojekt“ neben der Forschung ist aktuell vor allem die Ausbildung im Bereich Künstliche Intelligenz (KI). Nachdem wir mit der School of Applied Artificial Intelligence (SAAI) gerade einen neuen, interdisziplinären Bachelor „Angewandte KI“ ins Leben gerufen haben, machen wir hier natürlich nicht Halt. Als nächstes soll es noch einen passenden Master dazu geben und mein Traum ist es, das Ganze auch noch mit einem Promotionskolleg in angewandter KI abzurunden. Warum ich mich hier für die KI so einsetze, liegt auf der Hand: Sie liefert einen sehr mächtigen Werkzeugkoffer, der, gepaart mit dem entsprechenden Domänenwissen, jeder wissenschaftlichen Disziplin Erkenntnisse erschließen kann, die mit anderen Methoden entweder viel länger benötigen oder erst gar nicht gesehen werden.

Was ist eine Fähigkeit oder Eigenschaft, die Sie erst spät in Ihrer Karriere erkannt haben und die Sie für wichtig halten? 

Auch andere Leute für wissenschaftliche Themen und wissenschaftliche Methodik zu begeistern. Ich selbst war immer total begeistert von der Forschung, die ich gemacht habe. Aber das reicht irgendwann nicht mehr. Damit es nachhaltig wirkt, müssen Erkenntnisse und Methoden verbreitet werden und es braucht auch den Nachwuchs, der das alles weiterdenkt und -macht.

Was ist Ihr Rat an Frauen, die mit dem Gedanken spielen, eine Karriere in der Wissenschaft zu beginnen?

#1 Bleibt euch selbst treu!
#2 Brennt für das Thema, für das ihr euch entscheidet. Dieses Feuer muss euch auch immer mal wieder aus „dunklen Zeiten“ herausgeleiten. 

Frustrationstoleranz ist tatsächlich eine sehr wichtige Eigenschaft in der Forschung – Wissenschaft ist alles andere als gradlinig und man landet öfter in Sackgassen als direkt an ein Ziel zu kommen.
Diese Punkte gelten eigentlich für alle Menschen, die eine Karriere in der Wissenschaft anstreben. #1 ist aber auch besonders für Frauen und andere Menschen, die eher kein „typisch männliches“ Verhalten an den Tag legen wichtig. Academia ist an vielen Stellen immer noch von „Alpha-Gehabe“ geprägt (um es mal salopp auszudrücken) und es fällt sehr leicht, sich da anzupassen. Das ist aber tatsächlich nicht nötig. Findet euren eigenen Stil und euren eigenen Weg.

Am 11. Februar findet jährlich der Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft statt. Der Aktionstag würdigt die entscheidende Rolle von Frauen und Mädchen in Wissenschaft und Technik, er soll ermutigen, fördern und unterstützen. 

In diesem Rahmen möchte das Referat für Gleichstellung und Diversität die Leistungen von Wissenschaftlerinnen der Hochschule Heilbronn in den Fokus rücken. In den Wochen bis zum Girls Day, dem 25.04.24, stellen sich die Wissenschaftlerinnen vor, geben Einblick in ihre Arbeit und nennen Beweggründe für eine wissenschaftliche Karriere.