29.10.2025, 5 Min. Lesezeit

"Why do we follow?" - Prof. Dr. Susanne Wilpers im Interview zu ihrer neuen Veröffentlichung

Prof. Dr. Susanne Wilpers, Professorin für Leadership und Personalmanagement an der Fakultät WI, hat gemeinsam mit Prof. Dr. Ann-Kathrin Harms von der Hamburg School of Business Administration ein Kapitel im Buch "Influencer Marketing" (2025) verfasst, in dem sie die psychologischen und soziologischen Mechanismen im Influencermarketing beleuchten. Im Interview geht Prof. Dr. Susanne Wilpers detailiert auf Vertrauen, Nähe und die Rolle von InfluencerInnen in unserer Gesellschaft ein.
Wie entsteht Vertrauen zu jemandem, den man nie persönlich getroffen hat?

Wilpers: Das klingt im ersten Moment vielleicht ein bisschen paradox – aber es funktioniert erstaunlich gut. Vertrauen entsteht durch emotionale Nähe, und die kann heute auch digital sehr echt wirken. Viele InfluencerInnen geben persönliche Einblicke, sind konstant präsent und sprechen ihre Community direkt an. So entstehen sogenannte parasoziale Beziehungen – das sind einseitige, aber gefühlte Freundschaften. Wenn ich jemanden regelmäßig sehe, seine Stimme höre und ein Stück Alltag miterlebe, dann entsteht das Gefühl: „Ich kenne diese Person“ – auch wenn wir uns nie begegnet sind.


Was ist ein „Virtueller Influencer“?

Wilpers: Das sind digital erschaffene Figuren – Avatare oder KI-generierte Charaktere, die sich wie echte Menschen verhalten. Sie posten Content, haben FollowerInnen, Kampagnen und oft sogar eine eigene „Persönlichkeit“. Und manchmal merkt man auf den ersten Blick gar nicht, dass es sich gar nicht um einen echten Menschen handelt.


Können virtuelle Influencer überhaupt authentisch sein?

Wilpers: Das ist eine richtig spannende Frage. Authentizität ist bei virtuellen Figuren natürlich konstruiert – aber Menschen reagieren weniger auf „Echtheit“ im engeren Sinne als auf gute Geschichten, Konsistenz und Emotionen. Wenn ein virtueller Influencer klar kommuniziert, Haltung zeigt und seine Rolle gut erzählt, dann kann er für viele trotzdem authentisch wirken. Ob das dann wirklich echt ist, ist eher eine philosophische Frage.


Was unterscheidet erfolgreiche InfluencerInnen aus psychologischer Sicht von weniger erfolgreichen?

Wilpers: Erfolgreiche InfluencerInnen verstehen ihre Community. Sie sprechen Grundbedürfnisse an: Nähe, Inspiration, Zugehörigkeit, Orientierung. Sie schaffen es, gleichzeitig bewundert zu werden und nahbar zu bleiben. Wer nur Inhalte sendet, ohne echte Beziehung aufzubauen, verliert dagegen schnell an Bedeutung.


Ich will der schlechteste Influencer werden – wie mache ich das?

Wilpers: (lacht) Ganz einfach: Sei unnahbar, poste unregelmäßig, hab keinen roten Faden, ignoriere deine Community und bleib schön austauschbar. Das ist das perfekte Rezept, damit sich niemand mit dir verbunden fühlt.


Was genau bedeutet der Begriff „parasoziale Beziehungen“? Warum ist er so relevant für die Influencer-Kultur?

Wilpers: Parasoziale Beziehungen sind emotionale Bindungen zu Menschen, die wir eigentlich gar nicht persönlich kennen – wie InfluencerInnen, TV-Stars oder PodcasterInnen. Auch wenn die Beziehung einseitig ist, fühlt sie sich oft sehr echt an. Genau das ist der Kern vieler Influencer-Strategien: Nähe herstellen, wo keine physische Nähe da ist.


Wie verändern parasoziale Beziehungen unsere Vorstellung von Freundschaft oder Gemeinschaft?

Wilpers: Sie erweitern, vielleicht sogar verschieben die Grenzen. Gemeinschaft muss heute nicht mehr physisch stattfinden. Wir fühlen uns zu Menschen und Gruppen verbunden, die wir nur digital kennen. Das kann sich sehr echt anfühlen, ist aber häufig asymmetrisch – also nicht gleichberechtigt. Das verändert, wie wir Beziehungen verstehen und leben.


Sind InfluencerInnen MeinungsmacherInnen oder eher Projektionsflächen für das, was uns beschäftigt?

Wilpers: Eigentlich beides. Influencerinnen und Influencer spiegeln gesellschaftliche Stimmungen und Sehnsüchte – aber sie prägen sie gleichzeitig auch. Sie sind also sowohl Verstärker als auch Projektionsflächen. Das macht ihre Rolle so interessant – und manchmal auch so mächtig.


Was ist ein Scam Artist?

Wilpers: Ein Scam Artist ist jemand, der seine Reichweite und sein aufgebautes Vertrauen missbraucht. Das gab’s natürlich schon lange – heute eben digital. Solche Personen täuschen ihr Publikum bewusst, zum Beispiel mit Fake-Produkten, falschen Versprechen oder gekaufter Reichweite. Das ist die Schattenseite des Phänomens der Influencer.


Welchen Einfluss haben Algorithmen auf unser Gefühl von Nähe?

Wilpers: Einen ziemlich großen. Algorithmen entscheiden, wen wir wie oft sehen – und je öfter wir eine Person in unserem Feed sehen, desto vertrauter wirkt sie auf uns. Sichtbarkeit kann also Nähe erzeugen, auch wenn es keine echte persönliche Beziehung gibt.


Welche psychologischen Bedürfnisse werden beim Folgen angesprochen?

Wilpers: Da steckt eine ganze Menge drin: Nähe, Zugehörigkeit, Unterhaltung, Inspiration, Orientierung. Früher haben Idole oder Autoritäten solche Funktionen erfüllt – heute übernehmen InfluencerInnen das in weiten Teilen. Sie werden zu digitalen Bezugspersonen.


Können InfluencerInnen auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen?

Wilpers: Auf jeden Fall. Viele tun das bereits – ob bei Klimaschutz, Diversität, Gesundheit oder politischen Themen. Sie erreichen Menschen dort, wo klassische Institutionen oft nicht mehr hinkommen. Genau darin liegt eine riesige Chance – aber eben auch eine große Verantwortung.

Vielen Dank für das Interview!

Veröffentlichung

Prof. Dr. Susanne Wilpers ist Mitautorin des Kapitels „Why Do We Follow? Psychologische Mechanismen und soziologische Modelle hinter dem Erfolg von Influencer-Marketing“ im Buch Influencer Marketing (Hrsg. Marlis Jahnke, 2025).

Harms, A. K., & Wilpers, S. (2025). Why Do We Follow? Psychologische Mechanismen und soziologische Modelle hinter dem Erfolg von Influencer-Marketing. In Influencer Marketing: Für Unternehmen und Creators: Strategien, Erfolgsfaktoren, Best Cases, rechtlicher Rahmen. Mit vielen Beispielen (pp. 23-58). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-48569-6

Cover Influencer Marketing 3. Auflage 2025 Herausgeberin Marlis Jahnke

Ansprechperson

Hochschule Heilbronn – Kompetenz in Technik, Wirtschaft und Informatik

Mit rund 8.000 Studierenden ist die Hochschule Heilbronn (HHN) eine der größten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg. Ihr Kompetenz-Schwerpunkt liegt in den Bereichen Technik, Wirtschaft und Informatik. An ihren vier Standorten in Heilbronn, Heilbronn-Sontheim, Künzelsau und Schwäbisch Hall bietet die HHN mehr als 60 zukunftsorientierte Bachelor- und Masterstudiengänge an, darunter auch berufsbegleitende Angebote. Die HHN bietet daneben noch weitere Studienmodelle an und pflegt enge Kooperationen mit Unternehmen aus der Region. Sie ist dadurch in Lehre, Forschung und Praxis sehr gut vernetzt. Das hauseigene Gründungszentrum unterstützt Studierende sowie Forschende zudem beim Lebensziel Unternehmertum.