Interview mit Professor Carsten Lanquillon

1. An welchen Themen arbeiten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in deiner Gruppe Date Science & Transfer Lab?

Carsten Lanquillon: Im Data Science & Transfer Lab verfolgen wir zwei zentrale Aufgabenbereiche: Zum einen stellen wir die notwendige Infrastruktur für KI-Entwicklung bereit – insbesondere Rechenleistung und Datenspeicher für KI-Prototypen und Use Cases. Zum anderen liegt unser besonderer Fokus auf der Unterstützung von Data Science und der Entwicklung unternehmensspezifischer KI-Lösungen für den Transfer in die Unternehmenspraxis.

Data Science verstehen wir als ganzheitlichen Prozess: Es geht darum, aus Daten verwertbares Wissen zu extrahieren und Entscheidungsprozesse zu unterstützen oder zu automatisieren – beispielsweise für Absatzprognosen oder die Vorhersage von Maschinenausfällen. Der Prozess reicht von der initialen Problemdefinition über die Datenbereitstellung und Modellentwicklung bis hin zum Deployment und operativen Betrieb KI-basierter Lösungen. Dabei orientieren wir uns an etablierten Vorgehensmodellen wie CRISP-DM oder dem moderneren DASC-PM, die den gesamten Lebenszyklus von datenbasierten Projekten strukturieren – von der Zielklärung bis zum produktiven Einsatz.

Eine Kernaufgabe unseres Teilvorhabens ist das systematische Generieren und Bereitstellen von Daten – sowohl für Forschungszwecke als auch für die Weiterbildung. Wir bereiten realistische, branchenspezifische Datensätze auf, die datenschutzkonform anonymisiert sind und dennoch ihren praktischen Lern- und Anwendungswert behalten.

Im Transferbereich entwickeln wir maßgeschneiderte KI-Modelle, die wir in Fallstudien mit regionalen Unternehmen prototypisch einsetzen. Dabei demonstrieren wir konkret, wie diese Lösungen in die jeweiligen Geschäftsprozesse integriert werden können. Neben der Modellerstellung sind die praktische Nutzbarmachung und kontinuierliche Beobachtung während der Anwendung entscheidend. Ein trainiertes Modell erfolgreich in bestehende Geschäftsprozesse zu integrieren, erfordert ein durchdachtes Model-Lifecycle-Management: Modelle müssen kontinuierlich überwacht und an veränderte Bedingungen angepasst werden – etwa wenn sich durch neue Marktbedingungen oder technologische Entwicklungen das Verhalten der Kundinnen und Kunden grundlegend ändert.

2. Wie trägt diese Forschungsaktivitäten dazu bei, den Aufbau des regionalen Innovationszentrums AI TRAQC voranzutreiben?

Carsten Lanquillon: Unser Leitprinzip lautet: Hilfe zur Selbsthilfe für Unternehmen im KI-Kontext. Wir unterstützen die vielen erfolgreichen, oft als Hidden Champions agierenden kleinen und mittleren Unternehmen der Region dabei, KI-Potenziale zu erkennen und zu nutzen. Diesen Unternehmen fehlen häufig Zeit und Ressourcen für eine intensive Auseinandersetzung mit KI. Daher entwickeln wir branchenspezifische Prototypen und Demonstratoren, die konkrete Anwendungsmöglichkeiten aufzeigen und als Ausgangspunkt für nachhaltige Implementierungen dienen.

Die Teilvorhaben des RIZ AI TRAQC ergänzen sich synergetisch: Das Teilvorhaben „Training & Qualifications" stärkt die personellen Kompetenzen, während „Business Innovation & Entrepreneurship" relevante Use Cases identifiziert. Diese Identifikation ist wichtig, da viele Unternehmen ohne KI-Expertise das Potenzial ihrer Prozesse noch nicht vollständig erkennen. Das Teilvorhaben „Research & Prototyping" legt seinen Schwerpunkt auf die Erforschung neuester KI-Entwicklungen und die Erstellung allgemeiner Prototypen zu Zukunftsthemen.

Unser „Data Science & Transfer Lab" konzentriert sich – neben der Bereitstellung von Infrastruktur und Daten – primär auf den Transfer: Wir überführen Forschungserkenntnisse in konkrete Anwendungskontexte und demonstrieren, wie KI-Lösungen praktisch genutzt und in bestehende Prozesse integriert werden können. Die finale technische Implementierung überlassen wir den Unternehmen selbst oder spezialisierten Dienstleistern.

Diese sich ergänzenden Schwerpunkte – zukunftsorientierte Forschung einerseits und praxisnaher Transfer andererseits – schaffen gemeinsam die ideale Grundlage für Innovation und Anwendung. Nur das orchestrierte Zusammenspiel aller Teilvorhaben ermöglicht die erfolgreiche Entwicklung sowie die nachhaltige Betreuung von KI-Lösungen in Unternehmen.

3. Die Region Heilbronn und das KI- Ökosystem befinden sich im Wandel. Was ist deine persönliche Vision für das Projekt AI TRAQC und was wünschst du dir auch für die zukünftige Entwicklung dieser Region?

Carsten Lanquillon: Meine Vision ist, dass sich die Region zu einem überregional sichtbaren Kompetenzzentrum für angewandte KI entwickelt, das deutschlandweit und europaweit Anerkennung findet. Entscheidend ist, dass Unternehmen KI als nachhaltige Technologie verstehen und nicht als vorübergehenden Trend. Als wissenschaftlicher Partner bieten wir neutrale, fundierte Beratung in einem zunehmend unübersichtlichen Markt. Wir helfen Unternehmen, belastbare und praxistaugliche KI-Lösungen zu identifizieren und das notwendige Know-how für eigenständiges Arbeiten aufzubauen.

Für die kommenden Jahre wünsche ich mir, dass das Projekt Teil eines lebendigen KI-Ökosystems wird. Unternehmen sollten uns als kompetente Ansprechpartner für Beratung und Use-Case-Entwicklung kennen. Idealerweise entstehen aus dem Projekt auch Forschungskooperationen und innovative Start-ups, die von unseren Mitarbeitenden gegründet werden und spezifische Marktnischen mit innovativen Lösungen besetzen – ein Modell, das sich international bereits vielfach bewährt hat.

4. Was macht die Arbeit an der Hochschule Heilbronn und als Teilprojektleiter von AI TRAQC für dich so besonders?

Carsten Lanquillon: Seit meinem Studium faszinieren mich KI und Machine Learning. Die Möglichkeit, mit Algorithmen Erkenntnisse aus Daten zu gewinnen und präzise Prognosemodelle zu entwickeln, hat mich zur Promotion in diesem Bereich motiviert. Nach über zehn Jahren in der Automobilindustrie, wo ich KI-basierte Lösungen für Fehlerfrüherkennung, Ursachenanalyse und vorausschauende, flexible Wartung entwickelt habe, suchte ich nach thematischer Breite und wissenschaftlicher Freiheit.

Seit nunmehr 17 Jahren ermöglicht mir die Hochschule Heilbronn, eigene Forschungsschwerpunkte zu setzen. Besonders erfreulich ist, dass meine Themen – insbesondere die Anwendung und Untersuchung von Sprachmodellen – aktuell höchste Relevanz haben. 

Meine aktuelle Forschung konzentriert sich auf den verantwortungsvollen Einsatz von Sprachmodellen mit ihren faszinierenden emergenten Fähigkeiten, also Phänomenen, bei denen Modelle Aufgaben bewältigen, für die sie nicht explizit trainiert wurden. Im Fokus stehen die Leistungsfähigkeit und das emergente Verhalten von KI-Agenten in hybriden Mensch-KI-Teams im Kontext der Wissensarbeit.

Ein zentraler Aspekt meiner Arbeit ist die Entwicklung sicherer, transparenter und verantwortungsvoller KI-Systeme im Sinne einer menschenkompatiblen KI. Mit unserem gemeinnützigen Forschungsinstitut COAI Research arbeiten wir daran, KI-Systeme mit menschlichen Werten in Einklang zu bringen und trotz zunehmender Autonomie eine nachvollziehbare menschliche Aufsicht zu gewährleisten. Durch Methoden der mechanistischen Interpretierbarkeit wollen wir Sprachmodelle transparenter machen, um ihre Fähigkeiten und ihr Verhalten besser zu verstehen und zu steuern.

Die zunehmende interdisziplinäre Zusammenarbeit an der Hochschule schafft neue Perspektiven und Forschungschancen. Es ist inspirierend, Teil dieser dynamischen Entwicklung zu sein.

5. Was sind deine persönlichen Highlights in der Region Heilbronn-Franken? Was sollte man unbedingt ausprobiert haben wenn man hier ist?

Carsten Lanquillon: Nach Stationen in Braunschweig, Ulm, Luxemburg und Salzburg lebe ich seit sechs Jahren mit meiner Familie in der Region, etwa 30 Minuten von Heilbronn entfernt. Die Entwicklung der Stadt beeindruckt mich sehr – der Bildungscampus und die Bundesgartenschau haben sichtbare positive Veränderungen bewirkt.

Die Weinkultur der Region ist definitiv ein Highlight – die lokalen Weine sind ausgezeichnet und einen Versuch wert. Auch die Landschaft mit ihren sanften Hügeln und Weinbergen hat ihren eigenen Charme. Obwohl es mich in der Freizeit immer wieder in die Alpen zieht, schätze ich die hiesige Kulturlandschaft mit ihrer Mischung aus Tradition und Innovation.