Daniel Deimling ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre (BWL) an
der Hochschule Heilbronn. Er vertritt eine "Kritische BWL", hält Vorlesungen zur
Wirtschaftsethik und forscht zu Postwachstumstheorien.
Es gibt eine Mainstream-Theorieschule
in den Wirtschaftswissenschaften, das ist die "Neoklassik",
sowohl in der VWL als auch in der BWL. Das zentrale Axiom
der Neoklassik ist, dass das oberste Ziel der Unternehmen die
Gewinnmaximierung sei. Das hat den Effekt, dass alle anderen
Bereiche dem Gewinn untergeordnet werden müssen. Das hat offensichtlich verheerende Auswirkungen, sowohl ökologische als
auch soziale. Wir können fast alle Missstände, sowohl im Bereich
Ökologie als auch im Bereich Soziales, darauf zurückführen,
dass Unternehmen die Kosten senken wollen und den Gewinn
maximieren. Eine kritische Betriebswirtschaftslehre stellt deshalb
das Postulat der Gewinnmaximierung grundlegend infrage. Ein
weiteres Problem ist die Grundannahme der Neoklassik, dass die "unsichtbare Hand des Marktes" dafür sorgt, dass die Gewinnmaximierung der Allgemeinheit zugutekommt. Diese Theorie ist
über zweihundert Jahre alt und legitimiert seither den Egoismus
in der Marktwirtschaft, der sich heute in der Gewinnmaximierung
manifestiert. Die unsichtbare Hand ist eine metaphysische,
quasi-religiöse Annahme, die da im Hintergrund steht und empirisch völlig unhaltbar ist. Darüber sprechen die Neoklassiker nicht so gerne. Wenn es die unsichtbare Hand des Marktes nicht gibt, lässt sich die Gewinnmaximierung in keiner Weise
mehr legitimieren. Kritische Betriebswirtschaftslehre heißt, die
vorherrschenden Axiome der Neoklassik zu hinterfragen, sie
zu widerlegen und Alternativen aufzuzeigen.
Die Gegenthese ist, dass der Markt keine eingebaute ethische Vernunft hat. Es gibt keinen Mechanismus, der dazu führt, dass der Egoismus durch den Markt plötzlich uns allen zugutekommt, sondern wir müssen klar sehen, dass die Gewinnmaximierung und der Egoismus negative Folgen haben.
Der Markt ist ja tatsächlich evolutionär entstanden. Was aber häufig ignoriert wird, ist, dass es eine sehr tiefe Skepsis dem Markt gegenüber gibt. Das kann man relativ leicht festmachen an einigen Beispielen. Wir überlassen all diejenigen Dinge, die wirklich sensibel und wirklich wichtig sind, nicht dem Markt. Nehmen wir das Beispiel Adoption, wenn wir Adoption dem Markt überlassen würden, würde der Meistbietende das Kind kaufen können. Wenn wir Studienplätze dem Markt überlassen würden, dann würde der Meistbietende den Studienplatz bekommen und man würde nicht nach der Qualifikation gehen. Wenn wir Organspende dem Markt überlassen würden, würde der Meistbietende die Spenderleber kriegen. Bei all diesen Dingen sagen wir: "Um Himmels willen! Nicht dem Markt überlassen! Das muss der Staat regulieren." Die Frage ist also: Wieso ist dieses Denken so dominant, dass der Markt an sich vernünftig und gut sei, wenn wir doch eigentlich anhand der Praxis sehen können, dass wir wichtige Dinge eben nicht dem Markt überlassen. Ich glaube, dass der Markt an sich auch nicht per se schlecht ist, aber der weitgehend unregulierte Markt hat negative Auswirkungen. Es geht deshalb darum, das Marktprinzip zu bändigen, durch staatliche Eingriffe und auch durch Restriktionen.
Das ist ein großer Irrglaube. Theoretisch, das habe ich auch kürzlich in einem Artikel geschrieben und das sage ich jetzt als BWL-Professor und als promovierter Betriebswirt, müssen Unternehmen überhaupt keine Gewinne machen. Sie müssen kostendeckend arbeiten. Kostendeckend heißt natürlich, dass auch Ersatzinvestition und Rücklagen inbegriffen sein müssen. Aber darüber hinaus ist Gewinn keine Notwendigkeit. Es gibt Firmen, die explizit sagen, sie wollen keinen Gewinn machen. Die zahlen den Überschuss beispielsweise an die Kunden zurück, indem sie die Preise senken. Natürlich sind das bislang nicht viele Unternehmen, die so radikal sind. Aber auch bei Genossenschaften gibt es dieses Denken. Die machen in der Regel auch keinen Gewinn, sondern das, was erwirtschaftet wird, wird dann entweder zu Rücklagen oder an die Genossen ausgeschüttet. Und jetzt kommen wir zu einem Problem: Es gibt bestimmte Rechts- oder Unternehmensformen, bei denen dieses Gewinnmaximierungsdenken extrem ausgeprägt ist und das sind Kapitalgesellschaften, insbesondere die börsennotierten Aktiengesellschaften. Die sind so designt, dass es nur um das Monetäre geht. Die einzige Möglichkeit, dass Aktiengesellschaften anfingen, sich mehr um Ethik und Moral zu kümmern, wäre, wenn sich alle Aktionäre zusammenschlössen und sagten: Wir verzichten langfristig auf unsere Dividende, wenn unser Unternehmen dafür Gutes tut. Das findet aber in der Realität nicht statt. Schauen Sie sich einmal an, wie viele Verfahren gegen einige unserer größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland laufen. Mehrere Führungskräfte dieser Unternehmen stehen jetzt vor Gericht wegen bandenmäßigen Betrugs. Es gibt Juristen, die in diesem Zusammenhang von organisierter Kriminalität sprechen. Dieses Denken oder diese Art zu wirtschaften – dass der Gewinn über die Moral und sogar das Gesetz gestellt wird – kommt regelmäßig vor in diesen Unternehmen und ist immer zurückführbar auf die Gewinnmaximierung. Natürlich muss nicht jedes Unternehmen sagen, wir machen gar keinen Gewinn mehr. Was aber jedes Unternehmen machen kann, ist, zu sagen, der Gewinn wird ein gleichberechtigtes Ziel neben anderen. Wenn wir sagen, wir wollen den Gewinn maximieren, müssen wir aus Kostengründen dem Gewinn alles andere unterordnen. Wenn der Gewinn nicht mehr das oberste Ziel von Unternehmen ist, sondern ein gleichberechtigtes neben anderen – wie Umweltschutz, zufriedene Mitarbeiter, gut bezahlte Lieferanten usw. – dann wird plötzlich vieles von dem möglich, was in der Atmosphäre der Gewinnmaximierung als unmöglich erscheint.
Der Zweck der Marktwirtschaft ist relativ klar definiert und damit auch der Zweck der Unternehmen. In jedem VWL-Buch steht: das Ziel der Marktwirtschaft ist die langfristige Bedarfsdeckung mit dem geringsten Mitteleinsatz. Das ist ein sehr sinnvolles Ziel. Unternehmen sind dazu da, dass wir gemeinschaftlich das produzieren, was wir brauchen. Der Zweck von Unternehmen ist die gesellschaftliche Bedarfsdeckung und nicht die Gewinnerzielung. Die Neoklassik verwechselt konsequent Mittel und Zweck – Kapital ist das Mittel und nicht der Zweck. Jetzt gibt es natürlich Unternehmer, deren oberstes Ziel das Monetäre ist. Wenn Sie sich jedoch die Mehrzahl der mittelständischen Familienunternehmen anschauen, zeigt sich ein anderes Bild. Ich habe in den letzten Jahren viel zu Unternehmensethik geforscht und da habe ich nicht einen einzigen mittelständischen Unternehmer kennengelernt, der gesagt hat, sein oberstes Ziel sei der maximale Gewinn. Es geht häufig um Substanzerhaltung und darum, das Unternehmen gesund in die nächste Generation zu bringen. Es geht um gute Produkte, es geht um eine hohe Qualität, es geht um eine gute Gemeinschaft, um gute Arbeitsplätze und Mitarbeiterzufriedenheit. Das ist viel ausgeprägter, als uns immer beigebracht wird. Sie werden in mittelständischen Unternehmen ganz selten das Denken finden, es gehe um den maximalen Gewinn. Ich bin ja in der Weinbranche sozialisiert und es gibt keinen Winzer, der Winzer ist, um reich zu werden. Alle Winzer, die ich kenne, versuchen einen guten Wein zu machen – natürlich mit unterschiedlichen Vorstellungen, was ein guter Wein ist. Unternehmertum lebt davon, dass Menschen etwas erschaffen und in die Welt bringen wollen. Die monetären Werte werden in der vorherrschenden BWL völlig überbewertet.
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